Buchreview "Antipatterns in Retrospektiven" von Aino Vonge Corry
Eine reichhaltige Erfahrungsschatztruhe zur Retrospektiven-Moderation
“Antipatterns in Retrospektiven” von Aino Vonge Corry ist ein künftiges Standardwerk für deutschsprachige Leser*innen. Das Buch spricht explizit alle Personen an, die Meetings moderieren und sich dabei verbessern wollen oder bereits selbst vor schwierigen Moderationssituationen gestanden haben. Es dient somit bei Weitem nicht nur den “üblichen Verdächtigen” wie Scrum Master*innen, Agile Coaches oder Menschen in agilen Arbeitskontexten, wie der Titel eventuell vermuten lassen könnte.
In der Einleitung beschreibt die renommierte Autorin, wie es zu diesem Fachbuch kam; ein jahrelang gepflegtes privates Notizbuch, prall gefüllt mit eigenen Erfahrungen und Lernmomenten, diente als Grundlage für diese nun endlich dem breiten Publikum zugängliche Erfahrungsschatztruhe.
Gegliedert ist das Werk in drei große Teile:
strukturelle Antipatterns,
operative Antipatterns
und menschliche Antipatterns.
Dabei wurde das Stilmittel der Antipatterns ganz bewusst gewählt: Es hilft zum einen beim Wiedererkennen eigener “hakeliger” Situationen als bereits erfahrene*r Moderator*in. Zum anderen gibt das dadurch etablierte Vokabular Moderator*innen quasi eine gemeinsame Sprache an die Hand, um sich zielführender auszutauschen und miteinander weiterzuentwickeln. Selbstverständlich wird jedes Antipattern um passende Lösungsvorschläge (sog. Refactoring-Lösung) ergänzt.
Die gleichartige Strukturierung jedes Kapitels u.a. in Name des Antipatterns, Kontext, Metakontext, Antipattern-Lösung, den Konsequenzen und Symptomen sowie der bereits erwähnten Refactoring-Lösung erlaubt es, sich “mal eben schnell” ein oder zwei dieser Antimuster zu Gemüte zu führen anstatt das gesamte Buch von vorne bis hinten durcharbeiten zu müssen, um erst dann einen echten Mehrwert für die eigene Arbeit zu erhalten. Für vielbeschäftigte und vielseitig interessierte Führungspersonen ein großes Plus!
Ein herausragender Punkt, der in diesem Zusammenhang zu nennen ist, ist die Persönliche Anekdote, die ebenfalls Bestandteil jedes Kapitels ist. Menschen lernen leichter durch Geschichten und Corrys Anekdoten fördern das Einordnen des Gelesenen in den eigenen Arbeitskontext. Sie erleichtern zudem den Transfer der Buchinhalte in den eigenen, soliden Erfahrungsschatz.
Professionelle Moderation komplett online oder zumindest räumlich verteilter Gruppen ist allerspätestens seit der Pandemie ein omnipräsentes Thema und der Online-Aspekt eines jeden Antipattern-Kapitels trägt dieser Tatsache Rechnung. Darüber hinaus gibt er den Lesenden weitere wertvolle Erfahrungswerte an die Hand, um als Moderator*in selbst hilfreiche Erfahrungen im Online-Bereich dazuzugewinnen oder bereits selbst erlebte Stolperfallen einzuordnen und auszumerzen.
Die regelmäßig eingestreuten Infokästen mit Hintergrundwissen zu Modellen oder Konzepten runden das Gesamtpaket ab und helfen nicht nur weniger erfahrenen Leser*innen dabei, sich schnell und kompakt relevantes Wissen anzueignen. Sie sind darüber hinaus auch für erfahrene Moderator*innen nützlich, um eine weitere Perspektive auf ein Thema zu sehen oder einfach schnell ein Trainings-Häppchen “an der Hand zu haben”, das im Team- oder Gruppenkontext direkt gewinnbringend für alle Beteiligten genutzt werden kann.
Das von Daniela Schubert ins Deutsche übersetzte Fachbuch von Aino Vonge Corry (englisches Original: Retrospective Antipatterns) ist ein Standardwerk für deutschsprachige Leser*innen, wie es seinesgleichen suchen wird. Nicht umsonst ehrt Diana Larsen das vorliegende Buch mit einem Geleitwort und webt Corry kunstvoll Standardwissen unserer Profession, wie die “Fünf Phasen einer Retrospektive” (Larsen & Derby) mit in dieses Gesamtwerk ein. Basiswissen, das – wie vieles in der agilen Arbeitswelt – leicht erklärt, aber schwierig selbst zu meistern ist und deshalb mehr als berechtigt seinen Platz in dieser reichen Erfahrungsschatztruhe zur Retrospektiv-Moderation hat.
Dieses Buchreview erschien zuerst - in leicht geänderter Form - im SQ-Magazin Nr. 64 (Ausgabe März 2023) in Zusammenarbeit mit dem dPunkt-Verlag.